[un]erwartet. Die Kunst des Zufalls. Kunstmuseum Stuttgart

 Kunst des Zufalls – (un-) erwartet

 24.9.16 – 19.2.17

(Bilder im Anschluss an den Text)

 

Unter obigem Titel versucht das Kunstmuseum Stuttgart in einer faszinierenden Ausstellung dem Phänomen des „Zufalls in der Kunst“ auf den Grund zu gehen. Anhand von 120 Exponaten bekannter Künstler aus den letzten 100 Jahren zeigt die Ausstellung auf, wie sich Künstler einerseits vom Zufall haben inspirieren lassen und welche Methoden und Verfahren sie anwandten, um z.B. aus Zufallsfunden eigenständige Kunstwerke zu schaffen. Die Ausstellung zeigte mir aber auch, dass sich der Zufall in gewisser Weise „manipulieren“ lässt, d.h. Zufälle werden bewusst herbeigeführt und die Ergebnisse dann vom Künstler mit unterschiedlichsten kreativen Prozessen als Basismaterial für seine Arbeiten genutzt.

 

Im Eingangstext zur Ausstellung steht dazu:

„Der Zufall entzieht sich jeder Festlegung – und doch nutzt die Kunst den kalkulierten Zufall als gestaltende Kraft. In den vergangenen 100 Jahren haben Künstler unterschiedliche Methoden und Verfahren entwickelt, um Zufallsprozesse auszulösen und das (Un-) Erwartete innerhalb definierter Regeln sichtbar zu machen“.

 

Daneben gibt es aber auch Beispiele, dass Künstler ihre in der Natur oder im Atelier entdeckten „Fundstücke“ im vorgefundenen Zustand belassen und demütig oder einsichtig ebenfalls als Kunst betrachten – Zufallskunst im besten Sinn. Die Ausstellung zeigt, dass alles möglich ist. Auf Einstein geht der Spruch zurück, „Gott würfelt nicht“, für ihn laufen die Vorgänge in der Natur planvoll ab. Demgegenüber finden sich in der Ausstellung die Objekte des Franzosen Ben Vautier. „Chaos Gott hat die Würfel gezinkt“ und „Sie sind der Zufall“ oder „Überlassen sie es dem Zufall“.

 

Am Beginn der Ausstellung stehen Arbeiten von Hans Arp und Max Ernst, “die um 1920 das schöpferische Potential des Zufalls erkannten“ und bis dahin nicht bekannte Techniken entwickelten, wie z.B. Frottage ( Gegenstände wurden mittels Bleistiften auf Papier abgerieben),Grattage (abschaben und wegschaben von Farbschichten, um darunter liegende Gegenstände sichtbar zu machen) , Collage (Zusammenfügen von verschiedenen Materialien, Fotos etc. zu einer verwirrenden, eigenständigen Komposition), um dem Zufall ein neues Gesicht zu geben.

  • Ein großer Sprung in die Gegenwart sind die Arbeiten einer englischen Troika, die 10.000 oder 35.000 schwarz / weiße Würfel von einem Computer willkürlich zu einem eindrucksvollen Zufallswerk zusammenfügen lassen.
  • Die hölzerne „Computer Sculpture“ von Manfred Mohr wurde in Lage, Höhe und Farbe zufällig vom Computer bestimmt.
  • Das witzige „Essbild“ von Dieter Hacker ändert sich ständig, je nach dem wo und wie viele Pfefferminzkugeln von den Besuchern entfernt bzw. gegessen werden.
  • Hermann de Vries lebt und arbeitet weitgehend in der Natur, seine „Pflanzennotlage“, Holzskulpturen, Collagen auf Papier spiegeln den Zufall in der Natur besonders eindrucksvoll.
  • Francois Morellet, Mitglied der Zerogruppe, ist mit sehr repräsentativen Arbeiten vertreten, z.B. den 20 / 40 zufälligen Linien, den „Reaktionen auf eine zufällig gezogene Farbe“ etc.
  • Niki de Saint Phalle wird mit einem Frühwerk „Karabinerbild“ präsentiert, einem Gipsrelief mit zerschossenen Farbbeuteln.
  • Besonders begeistert war ich von Steffen Schlichter mit seinen wunderbaren Arbeiten aus industriellen, farbigen Klebebändern.
  • Dass Zufall in der Kunst auch für die Musik gilt, wird mit Arbeiten von John Cage und den interaktiven Klanginstallationen der „Random Machine“ von Brünner, Dipper u.a. demonstriert, sowie den eindrucksvollen Schusspartituren „The Thousand Symphonies“, auf Notenblättern mit Einschusslöchern und Schmauchspuren von Dirk Higgins.
  • Dass Andre Thomkins eine Arbeit zum „Sinndichten mittels Wortfelder“ vorstellt und Rune Mields „Den Turmbau zu Babel“ aus willkürlichen Buchstaben gestaltet, beweist, dass auch in der Dichtkunst der Einsatz des Zufalls eine lange Tradition hat.

Persönliches Fazit: Diese Ausstellung ist vielseitig, spannend, anregend und teilweise humorvoll. Kreativität hat viele Wurzeln, unsere Umgebung gibt uns ständig neue Anregungen, wir müssen sie nur erkennen und zulassen. Die Ausstellung bestätigt mich vor allem darin, auch in Zukunft neugierig und mit offenen Augen (mit und ohne Fotoapparat) durch das Leben zu laufen und auf das Unerwartete, Zufällige, zunächst wenig Spektakuläre sorgsam zu achten.

 

„In jedem von uns steckt ein Künstler“, wie Beuys richtig erkannte.

 

Klaus Weidner, Februar 2017

 

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Kommentare: 2
  • #1

    romy (Dienstag, 07 Februar 2017 06:46)

    wirklich interessant!

  • #2

    ISO (Donnerstag, 09 März 2017 18:25)

    Lieber Klaus -wie in einer Vorlesung der Kunstakademie : so fühlt sich Dein Bericht an !!
    Deine wunderbare Art, zu erklären , Deine Liebe zum Detail in Wort und Bild ......es macht sooo grosse Freude , Deinem Kunstsinn zu folgen !
    Das i- Tüpfelchen ist am Ende der Galerie : das Kunstobjekt " Barbara und Klaus "
    Ein dickes Dankeschön für Dich und liebe Grüsse an Euch beide !!
    ISO